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Berichte aus dem Ausland
Theresa Vogt berichtet von Ihrem Auslandssemester in Amsterdam
Ich dachte, einen Praktikumsplatz im Ausland zu finden sei eine Herausforderung. Nein – eine Unterkunft in Amsterdam zu finden ist um einiges schwieriger. Und so zog ich vor gut vier Monaten notgedrungenermaßen mit meinem Wohnwagen nach Amsterdam. Zwischen Senioren und Familien machten es sich mein Zuhause und ich auf einem Campingplatz gemütlich. Ich gebe zu, wirklich behaglich wurde es erst nach meinem ersten Einkauf – einer Heizung. Hier möchte ich kurz erwähnen, dass der zweite Einkauf eine Regenhose war.
An meinem ersten Arbeitstag begab ich mich, typisch niederländisch, mit meinem Fahrrad zur Arbeit. Ganz so angepasst war ich dann aber doch noch nicht. „Fietspad!“, was so viel bedeutet wie Fahrradweg, war wohl erste holländische Wort, das ich lernte. Es wurde mir mit durchaus aggressivem Nachdruck eingeprägt. Von wie vielen Radfahrern ich fast überfahren, wütend angeklingelt oder angeschrien wurde, konnte ich gar nicht mehr zählen.
Da stand ich nun vor einer olivgrünen Metalltür einer Lagerhalle. „LAVA“ steht in goldenen Buchstaben an der Tür. Hier werde ich die nächsten fünf Monate arbeiten. Wie in ganz Amsterdam Noord, wandelt sich gerade das ehemalige Industriegebiet und damit auch die leer stehenden Hallen in Arbeitsraum für diverse kreative Bereiche. Neben LAVA, der Grafikdesign-Agentur, in welcher ich arbeite, gibt es noch „Def“, eine zweite Grafikdesign Agentur, ein Architekturbüro und einige Freenlancer im Bereich Architektur und Eventmanagement.
Die Halle ist groß genug, um eine bunte Mischung an Menschen zu beherbergen und klein genug, dass wir alle gemeinsam an einem Tisch Mittag essen. Ich bin von Anfang an Teil des Teams und werde in die Projekte mit eingespannt. Wir sind neun Leute in der Agentur. Zwei Projektmanager, fünf Gestalter und dann gibt es da noch mich. Ich bin unglaublich dankbar für die entspannte und familiäre Stimmung. Ich werde von Anfang an mit einbezogen und mir wird gezeigt, dass ich ein Teil vom Team bin und nicht „nur“ ein Praktikant. Ich werde auf den Geburtstag meiner Chefin eingeladen und gegen Abend bringt der Chef ein Bier an den Tisch. Alle sind sehr besorgt um meine anhaltenden Probleme, eine Wohnung zu finden. Es ist Herbst. Der Campingplatz wird in wenigen Wochen schließen und ich zähle unruhig die Tage. Von einem Tag auf den anderen finde ich ein Zimmer, am nächsten ziehe ich schon um. Mit dem Fahrrad, den Rucksack auf den Rücken geschnallt, mitten in die Innenstadt, raus aus der Rentneridylle.
Ich ziehe in eine Straße, in der es nichts gibt außer Bars, Clubs, Casinos, den größten Coffeeshop Amsterdams, welcher einen ebenso großen Souvenirshop für die wohl unangenehmste Touristengruppe Amsterdams bietet, einem Burgerking und sechs Steakrestaurants. Zu meiner Haustür laufe ich durch den Außenbereich einer Bar, an einem Türsteher vorbei. Auf dem Weg nach Hause ertappe ich nun mich selbst dabei, zu einem der ungeduldigen, klingelnden und sich über Touristen beschwerenden Fahrradfahren zu werden. Der Wohnwagen wird übrigens von meinem Chef Frank in den Hinterhof der Agentur gezogen. Nun sehe ich von meinem Arbeitsplatz aus durchs Fenster mein ehemaliges Zuhause. War ein Praktikant jemals so gut vorbereitet für Überstunden?
LAVA arbeitet zum größten Teil für Kunden im kulturellen Bereich, was mir sehr viel Freude bereitet. Die ersten Wochen habe ich beispielsweise für das KLIK Animationsfestival, welches im Eye Film Museum in Amsterdam stattfand, gearbeitet. Ich bekam mit der Zeit mehr und mehr Verantwortung und durfte selbstständig mit dem Kunden in Kontakt treten. Eigenständiger Telefon- und Emailkontakt mit den Verantwortlichen des Festivals, meine eigenen Deadlines und das Erstellen und Abschicken von Druckdateien machten mir auf der einen Seite sehr viel Druck, auf der anderen Seite bin ich unglaublich dankbar, von meiner Agentur so viel Vertrauen geschenkt zu bekommen und dadurch sehr viel lernen zu können.
Nach einem Monat habe mein erstes Evaluationsgespräch mit meiner Chefin. Ich bin sehr aufgeregt. Aber Noortje lobt mich und ich freue mich ungemein über das Kompliment, dass sie sehr viel Potential in meiner Arbeitsweise sieht. Ich fühle mich hier wirklich gut aufgehoben. Noortje betont einige Male, dass nicht nur Sie etwas von mir fordern, sondern ich genauso das Recht habe von Ihnen zu lernen. Ist das zwar das Prinzip eines Praktikums, ist es jedoch trotzdem nicht selbstverständlich. Ich werde ebenfalls gefragt, was ich mir vom Praktikum erhoffe und was meine Ziele sind. Ich wünsche mir von Anfang an in ein Projekt mit einbezogen zu werden, da ich bis jetzt an bereits laufenden Projekten gearbeitet habe und somit die Konzept- und Entwurfsphase bereits beendet war.
Insgesamt merke ich gerade sehr, dass ich später nicht ausschließlich am Computer arbeiten möchte. Das wird definitiv ein großer Teil meiner zukünftigen Arbeit sein, aber ich werde mir einen Weg suchen, der dies mit analogen Aufgaben verbindet. Zwar waren die letzten Wochen durchaus zäh, da die meisten Projekte in den Druck mussten, aber ich lerne hier ungemein viel, vor allem was die Arbeitsabläufe und die Arbeit mit den Programmen angeht.
Am meisten lerne ich bei den Reviews, die wir regelmäßig von den einzelnen Projekten veranstalten. In der Agentur arbeiten meist zwei Leute an einem Projekt. Da man selbst auf sein Eigenes fixiert ist, bekommt man leider von den anderen Projekten oft nicht so viel mit. Deswegen werden für die einzelnen Aufträge immer wieder Treffen angesetzt, um diese der gesamten Agentur zu präsentieren. Im Nachhinein wird in der Runde diskutiert. Es ist äußerst interessant die Gedankengänge meiner Kollegen nachzuvollziehen und deren Designprozess zu verstehen.
In letzter Zeit finden zusätzlich noch Meetings statt, die sich im Allgemeinen mit dem Arbeitsprozess in der Agentur beschäftigen. Unsere Projektmanager versuchen mit uns gemeinsam die Vorgänge in der Agentur zu analysieren und zu optimieren. Den Inhalt dieser Treffen sauge ich wissbegierig auf. Ich habe verstanden, dass man als Praktikant vielleicht nicht immer die aller spannendsten Aufgaben bekommt, jedoch gibt es unglaublich viel Wertvolles, was man mitnehmen kann.
Zugegebenermaßen habe ich mir nicht überlegt, was es bedeutet ein Praktikum in einem Land zu absolvieren, in welchem Englisch nicht die Muttersprache ist. Das macht doch alles etwas schwieriger. Mein Feedback von Kunden, die Angaben der Druckerei, der Auftrag selbst – alles ist auf niederländisch. Alles braucht länger. Alles muss übersetzt werden. Für Kleinigkeiten, die ich auf Deutsch und auch in Englisch ohne Problem meistern würde, muss ich Fragen stellen. Wenn es in der Agentur mal stressig ist, redet niemand extra Englisch, damit ich zuhören kann. Ich frage mich immer wieder, ob mich die Sprachbarriere daran hindert einige Dinge aus meinem Praktikum mitzunehmen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Gemeinsam mit einer Arbeitskollegin habe ich den letzten Monat über an einem Buch gearbeitet. Dieses muss nun in den Druck. Allerdings ist der Kunde noch nicht zufrieden. Für mich bedeutet das, ein PDF von 300 Seiten mit Post-it Notizen in Holländisch zu erhalten und diese mühselig einzeln zu kopieren, mithilfe des Online-Wörterbuchs ins Englische zu übersetzen, um dann nur vermuten zu können, was damit gemeint ist und letztendlich wieder in niederländisch die Verbesserungen im Buch auszuführen. Ich fühle mich durch das viele Fragen sehr unfähig und habe den Eindruck, sehr ineffektiv zu arbeiten. Das kann durchaus frustrierend sein. Zwar bin ich mittlerweile im Lesen von niederländischen Texten sehr gut geworden und brauche meistens keinen Übersetzer mehr, doch im Gesprochenen sieht es leider noch immer schlecht aus. Das macht es mir, als die einzige Person der Agentur, welche kein niederländisch versteht, manchmal in sozialer Hinsicht schwierig. Zum Mittagessen sitzen wir alle an einem großen Tisch. Vielleicht sind wir 20 Leute. Alle reden durcheinander. Kurz wird englisch geredet, dann wirft jemand etwas in niederländisch dazwischen und ohne nachzudenken wird das Gespräch auf niederländisch weiter geführt. Wird etwas bei der Arbeit durch den Raum gerufen verstehe ich es nicht. Ich fühle mich isoliert und andererseits auch schlecht, immer wieder um eine „Extrawurst“ bitten zu müssen.
Ein großer Vorteil am Arbeiten ist definitiv der geregelte Tagesablauf. Die Holländer haben eine unglaublich ausgeglichene Arbeitsmoral. Die Arbeit ist effektiv und alles scheint zu funktionieren, jedoch hat niemand das Gefühl, einen Burnout zu bekommen. Gearbeitet wird von halb zehn bis halb sechs. Wenn ich um 17:40 noch im Büro sitze (weil noch nicht alle fluchtartig um 17:26 das Studio verlassen haben), um etwas fertig zu stellen, wird betont, dass ich gehen kann. Unsere Projektmanager sind sehr besorgt, wenn es mal stressiger ist und versuchen stetig das Time Management zu verbessern.
Feierabend bedeutet auch, um sechs daheim zu sein und zumindest die meisten Gedanken an die Arbeit im Studio zurück gelassen zu haben. Man hat Zeit, Neues zu lernen. Vielleicht auch mal wieder etwas, was nichts mit meinem Studium zu tun hat. Seit meiner zweiten Woche in Amsterdam spiele ich zum Beispiel Hockey und merke, dass mir die Abwechslung wirklich gut tut. Die Stadt hat ungemein viel zu bieten. Und es kommt noch besser. Alles ist mit dem Rad erreichbar. Normal bin ich kein Fan von Großstädten. Ein paar Tage, dann habe ich den Lärm, den Verkehr und die unfreundlichen Menschenmassen, welche sich anteilnahmslos durch die Gassen der grauen Häuserfronten drängen, satt. Auch Amsterdam kann laut und anstrengend sein. Aber hier biegt man dann einfach um die nächste Straßenecke und setzt sich an die Gracht. Oder man steigt für circa zehn Minuten auf das Fahrrad, hat das Gefühl, auf dem Land zu sein und lässt sich neben einer Windmühle auf einer Wiese mit Blick auf die Amstel nieder. Alternativ nimmt man gleich den Zug und ist in 25 Minuten am Meer. Hole ich am Morgen mein Fahrrad vom Parkboot (ja es ist wirklich ein Boot mit Parkplätzen für Fahrräder) grüßen einen die anderen Menschen. Das habe ich noch in keiner anderen großen Stadt so erlebt. So genieße ich das Leben in Amsterdam in vollen Zügen und bin für jede Erfahrung unglaublich dankbar.