Exkursion
Dynamic Font Day
Vor zwei Jahren wurde der Webfont Day angesichts des Auftretens erster „Variable Fonts“ zum Dynamic Font Day. Am Samstag, den 17. November 2018, galt es, einen umfassenden Blick auf die bisherigen und jüngsten Entwicklungen in diesem Bereich zu werfen, auf aktuelle Herausforderungen und Chancen sowie Probleme. Hierfür moderierten Tim Ahrens, Antje Dohmann und Oliver Linke durch ein angefülltes Programm mit insgesamt acht Vorträgen von Designern, Entwicklern und Studios – selbstverständlich in englischer Sprache, um einem internationalen Publikum eine Plattform zum Austausch zu bieten.
Im ersten Vortrag des Tages wies Gerrit van Aaken auf die wachsende Wichtigkeit der Lesbarkeit von Texten auf Smartphones und mobilen Endgeräten im Allgemeinen hin und die damit verbundenen Konsequenzen. Angefangen mit der Schriftgröße – nach dem Motto „32 pt ist das neue 12pt“ – bis hin zum Ladeverhalten von Website-Inhalten mit Fokus auf Textelemente gäbe es einiges zu beachten. Die technischen Möglichkeiten seien aber bereits sehr weit fortgeschritten: Alle aktuellen Webbrowser würden bereits Variable Fonts unterstützen. Um mehr Abwechslung zur momentan noch dominierenden Open Sans von Google zu schaffen, komme es im Weiteren umso mehr darauf an, dass Designer und Entwickler Ihre Kunden bezüglich des Themas Webfonts beraten können und Typedesigner die Lizensierung von Schriften durch unkomplizierte Verträge vereinfachen.
Die Masterabsolventin Marlene Rudolph zeigte anhand zahlreicher Beispiele wie breit gefächert die Anwendungsmöglichkeiten für Variable Fonts sind. Das gelte insbesondere in einer Gesellschaft, in der das Internet der Dinge eine immer größere Rolle spiele. Von den Displays in Armbanduhren, Großflächenwerbung im öffentlichen Raum bis hin zur Beschriftung von Exponaten in Museen ließe sich auf etliche Parameter eingehen, die unter anderem sowohl die technischen Gegebenheiten (z.B. die verfügbare Fläche), die Umgebung, (z.B. die Lichtverhältnisse) als auch den Betrachter selbst (z.B. die Sprache und das Alter) berücksichtigen. In der Zukunft solle die Typografie nicht nur responsiv sein, sondern „live“ – und sich automatisch den wechselnden Gegebenheiten anpassen um eine optimale Übermittlung von Informationen zu ermöglichen.
Durch viele experimentelle Projekte begeisterte die Typedesignerin June Shin das Publikum und vermittelte eine ganz andere Art der Variabilität von Schrift. Die unterschiedlichsten Beispiele, welche Ergebnisse von selbständiger Arbeit und auch von studentischer Teamarbeit im Rahmen verschiedener Workshops sind, animierten zum spielerischen Umgang mit Schrift.
Rasmus Michaëlis und Thorsten Lindsø vom Designstudio Kontrapunkt aus Kopenhagen präsentierten überzeugende Projekte aus dem Branding-Bereich. Der Ansatz hierbei: Die individuelle Gestaltung wird durch das einzigartige Material des Kunden und dazu passende, weitere Assoziationen angeregt. Referenzen lassen sich so auch z.B. in Architektur und Natur finden. Besondere Aufmerksamkeit erhielt ein Projekt, in welchem eine Schrift entwickelt wurde, die auf akustische Signale reagiert. Je lauter die Umgebung, desto weiter schlagen die Querstriche der Buchstaben aus.
Nach einem kleinen Einblick in eigene Soloprojekte und jene seiner Kollegin Hansje van Halem präsentierte Just van Rossum das Lowlands-Project: Eine Kollaboration von Grafik, Coding und Animation. Das Ergebnis ist eine bewegte Welt von Typografie, die aus algorithmisch hergestellten Mustern besteht und psychidelisch anmutend mit knalligen Farben und einer einzigartigen Lebendigkeit begeistert. Durch geringfügige Spielereien am Code lassen sich die verschiedensten Ergebnisse erzielen.
Irene Vlachou vermittelte einen Eindruck von der Begeisterung für die Arbeit mit Variable Fonts anhand einiger Projekte. Die Arbeit an Schriften für den digitalen Raum mit variablen Strichstärken, wie Portada und Protipo, bildet hierbei den Schwerpunkt. Anstatt nur in bestimmten Schriftschnitten verwendbar zu sein, ermöglichen diese eine individuelle, stufenlose Anpassung anhand von Reglern, die bestimmte Parameter bedienen.
Durch die Vorstellung seiner Arbeit mit Typografie in der Welt der Augmented Reality bot Andrew Johnson nochmal einen ganz anderen Einblick in die Welt der Variable Fonts. Denn nicht nur die bereits bekannte Technik entwickelt sich weiter und bietet neue Möglichkeiten. Durch den technischen Fortschritt entstehen auch ganz neue Plattformen, die danach verlangen, Typografie neu zu überdenken. Die Relation der Position des Betrachters zur Position des Textes im Raum war hierbei ein Parameter, der in mehreren Experimenten auf unterschiedliche Eigenschaften des Textes Einfluss ausübte, wie Strichstärke, Inhalt, Proportionen und Bewegungseffekte.
Zuletzt drehte sich im Vortrag von Akiem Helmling und Bas Jacobs von Underware alles um veränderliche Formen einzelner Buchstaben. Bei der üblichen Interpolierung von Schriftschnitten, wie etwa von einer schmalen zu einer dickeren Strichstärke, würde die Buchstabengestalt durch auftretende Kanten ungewollt verändert werden. Die Problemlösung der Typedesigner hierfür entstammt wortwörtlich anderen Dimensionen: Anstelle der linearen Interpolierung entwickelten sie das Konzept der „Hight Order Interpolation“ (kurz: „HOI“). In dieser höheren Ordnung der Interpolation werden die Punkte, die den Schriften Ihre Form verleihen, nicht linear, sondern auf Kurven verschoben.
Die Konferenz machte deutlich, wie wichtig der Austausch unter Typedesignern, Entwicklern und generell allen an der Branche Beteiligten oder daran Interessierten ist. Denn die Möglichkeiten und vor allem die Ansatzstellen für weitere Fortschritte scheinen unbegrenzt zu sein. Ob Student oder Designer mit jahrelanger Berufspraxis, durch diese unterschiedlichen Einblicke aus Experimenten und konkreter Praxis konnte jeder ein vielschichtiges Bild der aktuellen Entwicklungen der Variable Fonts erhalten, inklusive jeder Menge Denkanstöße und Inspiration zum Selbermachen.
Vielen Dank an Michael Bundscherer (event-fotos.org) für die Fotos.












