Vortrag
Gerhard Schweppenhäuser
Berufsbild Design: Was uns umtreibt und wohin
Impulsvortrag beim Design Campus Bayern an der Fakultät Gestaltung Würzburg
Bilder und Bildung hängen zusammen. Ein Bild ist etwas, das gebildet wird oder gebildet worden ist. Ein Berufsbild ist in der akademischen Lehre ein Doppelbild. Wir haben erstens ein Bild vom Berufsfeld, wie es hier und jetzt ist, und zweitens eines, das uns vorschwebt – wie der Beruf sein könnte und davon, wie er sein sollte. Wir haben also ein äußeres und ein inneres Bild. Im Idealfall stimmen sie überein, weil wir das Bild, das uns vorschwebt, bildend verwirklichen können. Im schlimmsten Fall stimmen sie überein, weil wir resigniert haben; dann passen wir unser inneres Bild dem bestehenden Zustand an – wir können ihn ja doch nicht ändern, nur nachbilden.
Den schlimmsten Fall kennen wir alle glücklicherweise nur als theoretische Möglichkeit … Von ihm müssen wir also jetzt nicht reden. Vom Idealfall kann aber auch nicht wirklich die Rede sein; wir können darauf hoffen oder uns darauf freuen (oder vielleicht auch nicht).
Sprechen wir also vom Zwischenreich: davon, wie wir täglich versuchen, uns dem Berufsbild anzunähern, das wir für richtig und wünschenswert halten.
Dieses Zwischenreich ist kein Niemandsland, es ist die aktuelle Realität. Dort gestalten Designerinnen und Designer Produkte, Kommunikationen und Informationen: nützlich, schön, verständlich, ausdrucksvoll, wirksam und prägnant. Nicht alle und nicht immer – aber es geschieht, und nicht nur zufällig oder aufgrund unvorhersehbarer Genialität.
Ich möchte mich im Folgenden auf Kommunikations- und Informationsdesign konzentrieren, also auf die Arbeit an und mit Medien.
In der Wirtschaft, in Kultur und im Alltag, in Bildung und Technologie gibt es ja immer mehr Medien, über wir uns austauschen, Ziele verfolgen, Verständigung suchen. Das macht die Welt komplexer, interessanter und immer unübersichtlicher.
Unser Studienangebot bereitet auf Tätigkeiten in Wirtschaft, Kultur, Bildung und Technologie vor. Es vermittelt klassische Kompetenzen, gestalterische Methoden und Werkzeugbeherrschung: Layouten, Fotografieren, Zeichnen, Animieren, Ausstellen und Illustrieren. Es vermittelt aber auch neuartige Kompetenzen: Problemstellungen erkennen, analysieren, vorwegnehmen – und Lösungen konzipieren.
Kommunikation designen heißt die Welt gestalten. Kommunikationsdesign hilft bei der Orientierung in der Welt, indem es Welten schafft – und es hilft, die Welt zu verändern. Design ist ein Beitrag zur ästhetischen Erziehung des Menschen (im Sinne von Friedrich Schiller), aber keine Dekoration, sondern Vermittlung, in methodischer und konzeptioneller Klarheit.
Gestalterinnen und Gestalter vermitteln aber nicht nur, sie schaffen Neues. Nicht zuletzt schaffen sie »Filter« – jedoch nicht, um Neues und Ungewohntes herauszufiltern, damit man sich’s in der »Blase« bequem machen kann, sondern um Wichtiges von Unerheblichem zu trennen.
Gestalterinnen und Gestalter tragen also Verantwortung, und zwar immer auch eine soziale. Daran möchte ich nun mit Blick auf zwei Themen erinnern, die unsere Realität derzeit vor allem prägen. Sie hängen mit der Digitalisierung zusammen. Ich meine die Umgestaltung von Arbeitsleben und Privatleben im Plattformkapitalismus und den neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit.
Mikroelektronische, digitale Produktionsmittel haben ein Wunderland neuer Kommunikationsmöglichkeiten erschlossen, eine neue Welt für das Design. Im Informationskapitalismus der Gegenwart scheint die Wertschöpfung zunehmend aus der »Organisation von Daten, der Orchestrierung des Zugangs zu Wissen und der Kapitalisierung desselben« hervorzugehen, wie der Physiker und Medien-Dozent Timo Daum in seinem neuen Buch schreibt (Die künstliche Intelligenz des Kapitals, Hamburg: Edition Nautilus, 2019). Es scheint, als würde die traditionelle industrielle Produktion immer unbedeutender. Google, Facebook, Uber und Konsorten schaffen eine neue Datenindustrie, die »Reichtum durch die algorithmische Analyse von Daten und deren Verwertung« generieren will (Christopher Wimmer: »Du lebloses, verdammtes Automat!« (https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/du-lebloses-verdammtes-automat).
Shoshana Zuboffs Analyse der Datenvermarktung hat diese neue Welt in einem neuen Licht gezeigt. Der Informationskapitalismus hat sich in einen »Überwachungskapitalismus« verwandelt, schreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin. Seit Anfang dieses Jahrtausends haben sich die »mörderischen Sparmaßnahmen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik« mit »einem Jahrzehnt explosiven digitalen Wachstums« verbunden (Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Frankfurt/M., New York: Campus, 2018, S. 45). »Informations- und Kommunikationstechnologien erreichen heute drei der sieben Milliarden Erdbewohner und sind damit weiter verbreitet als selbst die Elektrizität.« (S. 18) Mikroelektronisch-digitale Technologien stellen neue technische Mittel für neue wirtschaftliche Zwecke bereit. Die Anbieter von Suchmaschinen und Kommunikationsplattformen verlangen von den Nutzerinnen und Nutzern kein Geld, aber sie machen aus ihnen »Mittel zum Zweck der Datenextraktion« (S. 159). Die Plattformen, Algorithmen und ihre Maschinenintelligenz folgen den »ökonomischen Imperative[n] des Überwachungskapitalismus« (S. 318). Sein Wertschöpfungsmodell ist die Exploitation persönlicher Daten, aus denen man Verhaltensmuster erkunden und Vorhersagen über individuelles Verhalten machen kann. Geld wird verdient durch den Handel mit den Spuren, die wir im Netz hinterlassen. Anhand von Internetsuchen und Kommunikationsvorgängen, von digitalen Bezahlsystemen und geografischen Lokalisierungen können »Verhaltensdaten« abgeschöpft werden. Damit kann man sich »Versorgungsrouten« für den Datenhandel sichern, die »an Überwachung gebunden[…]« sind (S. 159). Unsere Interessen, Suchen, Erlebnisse, Begegnungen, Kontakte und Kommunikationen sind also Rohmaterial. Man eignet sich unsere Erfahrungen an und verarbeitet sie zu recht präzisen ›Vorhersageprodukten‹ weiter, die der werbetreibenden Wirtschaft verkauft werden, damit man dort »erahnen« kann, was wir »jetzt, in Kürze oder irgendwann tun« (S. 22). Solche Produkte mit prognostischer Qualität werden auf einem massiv deregulierten »Marktplatz für Verhaltensvorhersagen« »gehandelt« (ebd.), der eine deutliche Tendenz zur Monopolbildung zeigt. Über den Handel mit Vorhersageprodukten hinaus sind die Akteure des sogenannten Überwachungskapitalismus auch in der Lage, unser zukünftiges Verhalten »in einer wirtschaftlichen Größenordnung auszuformen« (S. 23). Dafür werden demokratische und rechtliche Grenzen umgangen oder gleich ganz abgebaut. Die Digitalisierung rüttelt am überlieferten Fundament der politischen Willensbildung und bringt hergebrachte Rechtsvorstellungen ins Wanken.
In der Bildung und Ausbildung müssen wir Gestalterinnen und Gestalter nun befähigen, in diesem neuen Zeitalter der ›Maschinenintelligenz‹, des Überwachungs- und des Plattformkapitalismus zu bestehen.
»Mit Google und Facebook ist die Plattform zum ökonomischen Paradigma geworden«, stellt der Philosoph Christoph Türcke in seinem neuen Buch fest (Digitale Gefolgschaft. Auf dem Weg in eine neue Stammesgesellschaft, München: C.H. Beck, S. 40). Das gilt nicht nur für Dienstleistungen, sondern auch für die Güterproduktion. »Wo immer es gelingt, herkömmliche Firmen wie Plattformen zu organisieren, winkt riesiger Geschäftserfolg« (S. 42). Dank mikroelektronischer Revolution können immer mehr Tätigkeiten daheim ausgeübt werden: Das Smartphone »gehört den allermeisten Beschäftigten ebenso signifikant an wie einst dem Bauern Pflug und Hacke und dem Schmied Hammer und Amboß«, schreibt Türcke (S. 42). Smartphones sind nicht nur Kommunikationsmittel, sondern auch Produktionsmittel, die den Arbeitenden gehören. »Und wer in der eigenen Wohnung für eine Firma Daten verwaltet oder Software entwickelt, verrichtet wieder Heimarbeit, wie es Weber und Uhrmacher taten, als sie noch nicht in Manufakturen, sondern zu Hause saßen und für größere Auftraggeber, sogenannte Verleger, produzierten. Auf High-Tech-Niveau kehren früh-, ja geradezu vorkapitalistische Verhältnisse zurück.« (ebd.) Arbeit und Freizeit, die Firma und die eigene Wohnung, der öffentliche Raum und die Privatsphäre – Bereiche, die bislang als getrennte erlebt wurden, vermischen sich. Schon bald wird »das Leben außerhalb« (S. 204) der großen Plattformen nicht mehr denkbar sein: Soziale Interaktionen, Bezahlvorgänge, Verwaltungsdienstleistungen und dergleichen funktionieren nur noch, wenn wir uns sozusagen unter dem Banner einer der großen Plattformen versammeln, wenn wir Mitglieder des Google-Clans oder des Facebook-Clans werden (oder wer auch immer in Zukunft der Marktführer sein wird). Das Leben außerhalb der digitalen Netzwerke, meint Türcke, wird »eine soziale Wüste« werden, in der es keiner lange aushält (S. 204).
In dieser neuen Welt sollten wir die Studierenden nicht nur zu fitten Gestalterinnen und Gestaltern ausbilden; wir sollten ihnen auch dabei helfen, ihre eigene Urteilskraft auszubilden. Wir sollten sie ermutigen und befähigen, die Grundlagen des neuen Zeitalters kritisch und praktisch auf den Prüfstand zu stellen.
Als neue Haltung der Designerinnen und Designen schwebt uns eine digitale Mündigkeit vor – gegen unsere faktische Entmündigung durch die big player im Plattform- und Überwachungskapitalismus. Digitale Mündigkeit: das wäre die Rückgewinnung des öffentlichen Raums für eine demokratische Gestaltung unseres gesellschaftlichen Lebens.
Die Grundlagen dafür sehen wir in den Kompetenzen, die Gestalterpersönlichkeiten im Laufe ihres Studiums erwerben: Konzeptstärke, Interdisziplinarität, Reflexion und Autonomie.
Konzeptionelles Gestalten steht im Zentrum unserer Lehre. Wir versuchen, Themen inhaltlich zu durchdringen und unterschiedlichste Aspekte zusammenzudenken. Dabei verdichten sich Vorstellungen über die Adressatinnen und Adressaten mit kreativen Überlegungen, die bis zu einem Ergebnis weiterverfolgt werden, das möglichst relevant und überraschend ist.
Konzeptstärke im Design heißt für uns: systematisch denken und analysieren, entwerfen, verwerfen, fokussieren und verdichten. So werden inhaltlich vielseitige, formal breitgefächerte Ideen vorbereitet und ausgeführt und der Blick für soziale und kulturelle Herausforderungen geschärft. Designerinnen und Designer denken »nach vorn«: weg von den Skills (die Techniken ändern sich ja ständig) – hin zu den Inhalten.
Elementar ist für uns das ergebnisoffene Arbeiten. Im Projektverlauf entscheidet die Verbindung aus erarbeitetem Inhalt und stärkster Umsetzungsidee, wohin sich eine Arbeit medial bewegt und mit welchen kreativen Werkzeugen sie umgesetzt werden kann.
Interdisziplinarität praktizieren wir als Kooperation und Vernetzung der designerischen Fachgebiete und auch als transmedialen Austausch zwischen verschiedenen Lehrgebieten und Methoden. Design wird zur Suche nach inhaltlichen Lösungswegen auf Handlungsfeldern in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur. Dafür gilt es, die Fähigkeit zum »gestalterischen Denken« zu schulen. Die eigene Tradition wird als Aufgabe und Voraussetzung verstanden, die es immer wieder, explorativ und experimentell, zu überschreiten gilt. Reflexion heißt, dass der Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Grundlagen und Theorien gestalterischer Praxis eine wichtige Rolle zugewiesen wird.
Wenn Absolventen von Designfakultäten am Markt erfolgreich sind, dann nicht zuletzt aus zwei Gründen: weil die Lehrenden mit der aktuellen Kommunikations- und Produktpraxis in Verbindung stehen und weil sie die Fähigkeiten vermitteln, auch aus der Perspektive der Nutzer zu denken.
Autonomie wird dabei gestärkt, indem wir Mut machen, sich immer wieder dem Neuem auszusetzen. Die Eigeninitiative und der Austausch der Studierenden sind zu fördern. Sie haben den Mut, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Trauen wir ihnen also zu (im Sinne von Kants aufklärerischer Maxime), sich selbst zu positionieren!