Dienstagsgespräch:
Annekathrin Kohout
1.7.25
Identität als Content-Strategie

Wer in Sozialen Medien als Persönlichkeit präsent sein will, muss nicht nur Bilder teilen, sondern diese auch konstant selbst einordnen: durch Hashtags, POV-Perspektiven oder performative Zugehörigkeit zu kulturellen und sozialen Kategorien wie Geschlecht, Generationen, Sternzeichen, Diagnosen oder Persönlichkeitstypen. Von „Gen Z“ über „ADHS“ bis „Introvertiert“ – es hat sich eine Kultur der Selbstbeschreibung etabliert, in der persönliche Eigenschaften in Labels übersetzt werden – oft spielerisch, manchmal strategisch.
Dabei zeigt sich Identität nicht mehr im Bild selbst, sondern in der Art, wie es kontextualisiert wird – durch Begleittexte, Filter, Captions, Tags, Sounds. Die visuelle Repräsentation rückt in den Hintergrund, entscheidend wird die narrative Rahmung. In einer Plattformkultur, die auf schnelle Zuordnung und algorithmische Sortierbarkeit angewiesen ist, wandern Bedeutung und Selbstverortung zunehmend in die Paratexte. Die Identitätslabels sind damit Ausdruck einer neuen Funktion von (bewegten) Bildern: Diese müssen datafizierbar, anknüpfungsfähig und reaktionstauglich sein.

Annekathrin Kohout ist freie Autorin und Kulturwissenschaftlerin. Sie studierte Germanistik, Kunstwissenschaft, Medientheorie und Fotografie in Dresden, Karlsruhe und Leipzig. 2021 promovierte sie am Germanistischen Seminar der Universität Siegen. Sie ist Mitherausgeberin der Buchreihe „Digitale Bildkulturen“ im Verlag Klaus Wagenbach und der Zeitschrift „POP. Kultur und Kritik“, sowie Mitglied des Editorial Bords des „Journal of Global Pop Cultures“, von AICA (Association Internationale des Critiques d’Art) sowie des Goethe-Instituts. In ihrer taz-Kolumne „Feed Interrupted“ schreibt sie über Netzkultur und Plattformpolitik. Als Sachbuchautorin schrieb sie Bücher über Netzfeminismus, Nerds und K-Pop. Ihr neues Buch „Hyperreaktiv. Wie in Sozialen Medien um Deutungsmacht gekämpft wird“ erscheint im September 2025. Als Gastprofessorin und -dozentin unterrichtet sie regelmäßig an verschiedenen Hochschulen und Universitäten.