Dienstagsgespräch:
Carolin Höfler
28.3.23

Bildberichte. Zur Inszenierung einer ambivalenten Wirklichkeit

Ausgangsthese sind die Überlegungen von Hito Steyerl (Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, 2005), wonach dokumentarische Bilder zum Dokumentierten nicht in einem Verhältnis der Repräsentation, sondern der Unschärfe und Imagination stehen. Gleichwohl fungieren solche Bilder, die oft der Manipulation verdächtigt werden, als Beweise für die Realität. Gerade »die nagende Unsicherheit darüber, ob das, was wir sehen, wahr, realitätsgetreu oder faktisch ist, begleite[t] dokumentarische Bilder wie ihr Schatten. Dieser Zweifel ist kein Mangel, der verschämt verborgen werden muss, sondern die Haupteigenschaft zeitgenössischer dokumentarischer Bilder« (Steyerl, 2005, 9). Kontinuierlich sehen wir uns also mit Dokumenten konfrontiert, welche die Wirklichkeit nicht wiedergeben, die aber dennoch als glaubhaft aufgefasst werden, weil sie angenommene Wahrheiten erst erzeugen. Dies gilt umso mehr, als das zu Dokumentierende im Zeitalter des Digitalen nicht einfach nur vorliegt, sondern in aufwändigen Verfahren der Auswahl, Zusammenführung und Bearbeitung computergenerierter Daten produziert werden muss.

Anhand von Fallbeispielen aus Kunst und Architektur (z.B. von Forensic Architecture oder Susan Schuppli) sowie der Verbrechensvorhersage predictive policing (als Gegenmodell) sollen uns folgende Fragen beschäftigen: Welche Wahrheitspolitik kommt in dokumentarischen Bildern und vorhersagenden Modellen zum Ausdruck? Welche Strategien der Authentifizierung prägen die visuellen Berichte und Behauptungen? Welche Realitäten werden eigentlich produziert? Wie ist es möglich, dass Dokumente und Prognosen unter den Bedingungen von Digitalisierung und Globalisierung ihre Kraft zur Beglaubigung von Wirklichkeit bewahren? Wie können sie eine Wirklichkeit vermitteln, die auch anders denkbar wäre?

 

Carolin Höfler

ist Professorin für Designtheorie und -forschung an der Köln International School of Design der Technischen Hochschule Köln. Seit 2018 leitet sie die interdisziplinäre Forschungsstelle »Echtzeitstadt | Real-Time City« der TH Köln und gehört zu den antragstellenden Wissenschaftler:innen im DFG-Graduiertenkolleg »anschließen – ausschließen. Kulturelle Praktiken jenseits globaler Vernetzung« der Universität zu Köln. Sie studierte Kunstgeschichte, Neuere Deutsche Literatur und Theaterwissenschaft (Magister) sowie Architektur (TU Diplom) an den Universitäten in Köln, Wien und Berlin. 2009 promovierte sie mit der Arbeit »Form und Zeit. Computerbasiertes Entwerfen in der Architektur« an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2003 bis 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Akademische Rätin am Institut für Mediales Entwerfen, Department Architektur der TU Braunschweig. Seit 1998 arbeitet sie projektbezogen im Team von oza _studio for architecture and scenography in Berlin, seit 2014 als Büropartnerin. Ihre Forschungsaktivitäten beziehen sich auf Entwurfsprozesse und Materialsysteme in Architektur und Design, auf Formen medialer Räumlichkeit und ephemerer Urbanisierung sowie auf forensische Methoden und künstlerische Praktiken der Raumanalyse.

Ausführliche Darstellung der Publikationen und Projekte unter: www.carolinhoefler.de

Forensic Architecture, The Bombing of Rafah, Gaza, 2015. Detail. CC BY-NC-SA 4.0
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