Abschied:
Wolfgang Bäumer & Erwin Grießel

Nachruf

Im Januar 2022 starb Wolfgang Bäumer; im Dezember 2021 ist Erwin Grießel gestorben. Beide haben die Fakultät Gestaltung in Würzburg über viele Jahre nachhaltig geprägt.

Fotografie von Wolfgang Bäumer bei der Vernissage zur Ausstellung "Nasse Wege"

Wolfgang Bäumer wurde 1936 in Berlin geboren. Er studierte Design an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und an der FH Münster. Ab 1963 arbeitete er in der Design-Abteilung der Bayer-Werke AG und anschließend als Chefdesigner im Stahlkonzern Klöckner in Duisburg. 1967 übernahm er die Leitung der Abteilung Grafik an der Städtischen Werkkunstschule Würzburg, 1970 wurde er deren Direktor. 1971 wurde Bäumer Dekan des Fachbereichs Gestaltung an der neugegründeten Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt und erhielt 1974 die Berufung zum Professor für Design.

In einem Interview, das im Jahre 1991 geführt worden ist, hat Bäumer seine Anfänge in Würzburg so beschrieben:

»Nach dem Designstudium an den Hochschulen in Münster und Offenbach bin ich direkt in das Design Studio von Bayer Leverkusen gegangen. Ich war dann im Bayer Team, eine Gruppe junger Gestalter. Wir haben damals ziemlich Furore gemacht mit unserem Design und viele Veröffentlichungen in der internationalen Fachpresse gehabt. Im Anschluss an Bayer habe ich als Chefgrafiker bei Klöckner in Duisburg, einem der größten Stahlunternehmen Europas, gearbeitet. 1967 bekam ich einen Anruf aus Würzburg von Theodor Jacobi, dem damaligen Direktor der Werkkunstschule. Seine Idee war, in Würzburg eine neue Kunsthochschule aufzubauen. Ich wurde gefragt, ob ich Interesse hätte, diese Schule mit aufzubauen. Ich fuhr nach Würzburg und sagte zu. 1971 ging Theodor Jacobi in den Ruhestand und ich trat seine Nachfolge an. 1971 trat auch das Fachhochschulgesetz in Kraft, wovon auch die Werkkunstschule betroffen wurde. Sie verlor ihre Selbstständigkeit, wurde jedoch in einer neu gegründeten Hochschule eine eigenständige Ausbildungsrichtung: Gestaltung.«

Wolfgang Bäumer schuf in diesen Jahren die Grundlage für unsere Tätigkeit an der Fakultät bis heute. »An dieser neuen Hochschule«, berichtete er in der Rückschau, »war ich sechs Jahre Dekan. Neben der Lehrtätigkeit war die Hauptarbeit der Entwurf der Lehrpläne, der Prüfungs- und Studienordnung für die neue Hochschule. Mit der Berufung neuer Professoren kamen natürlich auch neue Denkanstöße und neue Strömungen ins Haus. Auch über eine gemeinsame Philosophie – über das, was Kunst und Design ist.« »Ich finde es wichtig, dass sich der freie künstlerische Bereich ständig weiterentwickeln kann. Es ist aber genauso wichtig, dass der angewandte Designbereich von seinem Stellenwert richtig gesehen wird, z. B. vom Praxisbezug her.« »Was ich positiv finde ist, dass es ja sehr viele verschiedene Auffassungen hier im Haus gibt. Es gibt keinen Hausstil. Keiner bestimmt, was gut ist. Und das soll man auch deutlich machen können, z. B. durch Ausstellungen von Studenten arbeiten.«

Bäumer hat über Jahrzehnte das Festhalten des Flüchtigen auf seinen Studienreisen geübt, immer skizzenhaft, oft in Form von Aquarellen. Eine Ausstellung an der Fakultät Gestaltung am Sanderheinrichsleitenweg zeigte im Jahre 2018 über 100 Originale; sie vermittelte auf beeindruckende Weise Bäumers sensiblen Blick und die Flüssigkeit seiner visuellen Handschrift.

 

Portrait von Erwin Grießel

Erwin Grießel, Jahrgang 1936, ging nach einer Lehre als Schriftlithograph an die Düsseldorfer Kunstakademie. Dort studierte er angewandte Grafik bei Walter Breker und ein Semester freies Zeichnen bei Robert Pudlich. Zu seinen Kommiliton:innen bei Breker zählten der Werbefotograf Hans Hansen sowie Hilla und Bernd Becher.

»Werbung im eigentlichen Sinne«, hat Grießel später über diese Zeit berichtet, »wurde im Studium nicht behandelt. Es wurden hauptsächlich schöngeistige Dinge, wie Buchumschläge, Schallplattenhüllen und Konzertplakate gemacht.« In den Semesterferien arbeitete Grießel in Repro-Anstalten, Verlagen und Werbeabteilungen. Nach Abschluss des Studiums wurde er Grafiker in der Werbeabteilung der Firma Rollei. Dort hat er – mit seinen eigenen Worten – »sehr schnell gemerkt, dass man als Grafiker zwar die Entwürfe macht, sie aber nicht präsentiert – das macht der Werbeleiter. Daraufhin bin ich als Werbeleiter zu einer anderen Firma gegangen und dort mit allen Bereichen der Werbung in Berührung gekommen«.

1975 wurde Erwin Grießel auf die Professur für Zeichnen und Grafik-Design am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Würzburg berufen. Im Rückblick hat er 1991 hervorgehoben: »Nachdem aus dem Werkkunstschulen Fachhochschulen geworden waren, bestand in der Theorie ein Nachholbedarf und es setzte, nach Ulm, jetzt auch hier die Verwissenschaftlichung des Faches ein. Aus der Werkkunstschulzeit gab es noch ein überkommenes rein formales Denken. Jetzt aber stand das konzeptionelle Denken im Vordergrund. Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst wurde wichtig genommen. Es herrschte eine Art Aufbruchstimmung. In dieser Phase war es wichtig, für die Institution und im Beruf ein neues Selbstverständnis zu definieren und nicht nur ein Türschild auszuwechseln. Gestaltung so aufzufassen, dass das konzeptionelle Denken und Arbeiten im Vordergrund stand. Es war die Zeit der kritischen Themen. Es ging auch darum, das Künstlerische verstärkt mit einzubringen. Wir haben uns mit Studenten außerhalb der Vorlesung getroffen und uns mit Themen der zeitgenössischen Kunst auseinandergesetzt und versucht, in der Gruppe selbst künstlerische Projekte zu erarbeiten.« »Das Künstlerische war immer wichtig bei uns, das Angewandte aber ebenso. Andererseits sind wir keine Kunstakademie, genauso wie wir keine Werbefachschule sein wollen. Wir müssen in stärkerem Maße versuchen beides miteinander zu verbinden, d.h. die künstlerischen Denkprinzipien auf das Angewandte, d.h. auf die Kommunikationsgestaltung zu übertragen. Der scheinbare Widerspruch liegt in der Problematik der Materie selbst. Kunst ist offener angelegt, Werbung z. B. mehr auf Verständnis, damit meine ich auf Repertoiredeckung von Sender und Empfänger. Werbung kann sich keinen Informationsverlust leisten.«

Die Grundhaltung am Fachbereich Gestaltung beschrieb Grießel so: »Wir haben immer versucht, uns von anderen Fachhochschulen, die viel stärker praxisorientiert sind, abzusetzen. Wir orientieren uns eher grundsätzlicher an der Praxis. D.h. wir versuchen mehr die Denkfertigkeiten als die Handfertigkeiten zu entwickeln, ohne das Handwerkliche vernachlässigen zu wollen. So falsch können wir mit diesem Lehrkonzept nicht gelegen haben, wie die zahlreichen Preise, die wir bei bundesweiten Wettbewerb im Vergleich mit anderen Hochschulen geholt haben, zeigen.«

Während Bäumer seine eigene künstlerische Arbeit während und nach seiner Zeit als Würzburger Professor beständig weiterverfolgte, setzte Grießel die Akzente für sich anders. »Meine künstlerische Arbeit ist in Anführungszeichen zu sehen. Ich mache kaum Ausstellungen. Kunst ist existenziell, und diesen existenziellen Druck kann ich bei mir nur sporadisch konstatieren. Meine künstlerischen Arbeiten, meine Spritzobjekte, die ich in den letzten Jahren immer wieder gemacht habe, oder die gestischen Zeichnungen in der letzten Zeit, verstehe ich auch als Auseinandersetzung mit Aspekten und Themen der Lehre.«

 

Gerhard Schweppenhäuser, seit 2002 Professor für Design- und Medientheorie an der Fakultät Gestaltung, fragte Thomas Friedrich nach Erinnerungen und Eindrücken, die Wolfgang Bäumer und Erwin Grießel als Gestalter und Hochschullehrer bei ihm hinterlassen haben. Friedrich studierte von 1978 bis 1984 an der Fakultät Gestaltung Kommunikationsdesign. Nach dem Diplom nahm er ein Studium der Philosophie, Politischen Wissenschaft, Soziologie und Volkskunde an der Würzburger Universität auf, das er im Jahre 1999 mit der Promotion in Philosophie abschloss. Während dieser Zeit blieb er der Fakultät Gestaltung als Lehrbeauftragter verbunden. Danach lehrte Friedrich als Hochschuldozent an der Bauhaus-Universität in Weimar und erhielt 2000 einen Ruf an die Fakultät für Gestaltung der Hochschule Mannheim. Dort lehrt er als Professor für Designtheorie und Philosophie und leitet das Institut für Designwissenschaft.

 

Du hast Wolfgang Bäumer und Erwin Grießel in Würzburg erlebt – zunächst als Student, später als Lehrbeauftragter an der Fakultät Gestaltung. Welche Erinnerungen melden sich spontan bei Dir, wenn Du an die verstorbenen Kollegen denkst?

Thomas Friedrich: Erwin kam immer mit dem Zug, er besaß zwar einen VW-Käfer, aber mit dem Autofahren hatte er es nicht so, und er fand den Autoverkehr mit Stau und Parkplatzsuche fürchterlich. Seine Lösung des Problems, den Massentourismus nutzend, war folgende: Am Fuß des Großglockners, etwas versteckt, Einbahnstraßenschilder anbringen … Zur Zeit der RAF-Fahndung, 1977 oder 1978, wurde Erwin Grießel – er war wie immer schwarz und etwas martialisch konnotierend angezogen – am Bahnhof in Würzburg von einem Polizeibeamten kontrolliert. Erwin: »Was fällt Ihnen ein! Ich bin ein ordentlicher Professor!« Der Polizist: »Ist gut – und ich bin der Kaiser von China – mitkommen!«

 

Oha. Das waren noch Zeiten … Gut, dass sie vorbei sind! Bäumer und Grießel waren ja zwei ganz unterschiedliche Gestalterpersönlichkeiten. Wie würdest Du ihre Arbeit charakterisieren?

Thomas Friedrich: Wolfgang Bäumer ging gern mit Studierenden auf Exkursionen, vor allem nach Italien. In Venedig war er, aber auch in anderen italienischen Städten zum Beispiel der Toscana. Dort wurde dann immer gezeichnet und danach gab es eine Ausstellung am Fachbereich oder anderswo in Würzburg. Erwin Grießel und sein Student Achim Greser, später Karikaturist bei der Titanic und der FAZ, verstanden sich bestens. Oft sah man die beiden kichernd nebeneinanderstehen oder -sitzen, und dann wussten wir anderen Studierenden: Jetzt entstehen gerade ausgezeichnete satirische Gedanken und Überlegungen zu deren Visualisierung. Kreative Albernheit, sozialkritischer oder auch rein dadaistischer Art, beherrschten Erwin und Achim bestens.

 

Du hast dein Studium an der Fakultät Gestaltung Ende der 1970er Jahre aufgenommen. In Deiner Erinnerung: Wie hat sich diese kulturell und politisch sehr besondere Epoche an der Fakultät Gestaltung ausgewirkt?

Thomas Friedrich: Damals stand als Ziel das im Vordergrund, was Philosophen das »gute Leben« nennen. Darum ging es beiden, Grießel und Bäumer, auch wenn beide ganz verschiedene Mittel einsetzten, um dies zu realisieren. Verglichen mit damals kommt mir die Welt heute oft fade vor, genussfeindlich und gebannt durch Angst.

 

Beide, Grießel und Bäumer, haben die Fakultät Gestaltung, ihre Wirkung nach innen und außen, auf ihre je eigene Weise mitgeprägt.

Thomas Friedrich: Sowohl Grießel als auch Bäumer verkörperten in den 1970er und 1980er Jahren eine Grundstimmung am Fachbereich Gestaltung. Viel weniger Zukunftsangst, Karriere war noch ein Schimpfwort, man wollte kein Karrierist sein.

 

Wir danken Thomas Friedrich, dass er uns seine Erinnerungen an Grießel und Bäumer mitgeteilt hat. Die oben angeführten Zitate der beiden Würzburger Hochschullehrer stammen aus der Publikation »Ein Magazin zum Fachbereich Gestaltung Würzburg 1991«.